Ausstellung MENSCH 2017

Künstlerische Einführung

Galerie AMART |  Wien, 23. Februar 2017

Kennen Sie ihn? Den fröhlichen Lächler - den abgezehrten Alten - den Verdrüsslichen - den mit Verstopfung behafteten - den naseweis spitzfindigen Spötter - den Missmutigen - den Einfältigen höchsten Grades und den Erzbösewicht?

Nein, ich meine damit weder ihren Nachbarn, noch ihren Chef oder gar Donald Trump. Ich meine die sogenannten Charakterköpfe des Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt. 69 von ihnen schuf er zwischen 1770 und 1780. Einige davon sind im Besitz des Wiener Belvedere. Ihr Anblick erheitert uns. Rasch drängt sich jedoch die Frage auf: ,,Wer bin ich - und wenn ja wie viele?" Denn Gesichter, so sagt man, fungieren als Spiegel der Seele - sie sind Ausdruck der Persönlichkeit - eine detaillierte Karte unserer Identität und Individualität. Schon Neugeborene können nach nur zwei Wochen das Gesicht der Mutter von anderen unterscheiden. Und Experimente haben gezeigt, dass wir beim ersten Blickkontakt fast ausnahmslos in die Augen unseres Gegenübers schauen. Nur wenige Sekunden entscheiden über Sympathie oder Nichtsympathie: Gesichter sprechen offenbar Bände. Bereits Aristoteles nahm dies zum Anlass eine Abhandlung zur menschlichen Physiognomie zu verfassen. Und der Zürcher Theologe Johann Caspar Lavater gab 1770 gar ein vierhändiges Werk über Menschenkenntnis heraus und ging von der Idee aus, dass man von den Gesichtszügen des Menschen auf dessen moralische und intellektuelle Fähigkeiten schließen könne. Hundert Jahre später ging der Italiener Cesare Lombroso noch einen Schritt weiter und entwickelte eine Methode zur Identifizierung von Verbrechern anhand des äußeren Erscheinungsbildes. Demnach hätten Kriminelle vorstehende Schneidezähne, ein fliehendes oder flaches Kinn, wenig Bartwuchs und buschige, zusammengewachsene Augenbrauen.

Was aber sagt uns dies über die menschliche Darstellung in der Bildenden Kunst? Ganz gleich wie realistisch ein Abbild auf den ersten Blick auch immer aussehen mag, es ist nie unbeeinflusst von persönlichen Empfindungen. Ein Bildnis ist somit auch stets eine individuelle Interpretation seines Schöpfers.

In diese Überlegungen hinein treffen wir auf die Menschenbilder von Ladislav Cerny. Unmittelbar und kraftvoll treten sie uns gegenüber, sodass wir uns ihnen nicht entziehen können. Die Gesichter fixieren uns: Gelb und einäugig zeigt sich die männliche Emotion. Argwöhnisch verfolgt uns ihr Blick - die rechte Gesichtshälfte schwarz und blind. Im Schutze eines roten Balkens steht die andere Emotion. Das Grün ihrer Augen starrt uns entgegen. Ist es Neid, ist es Eifersucht, ist es Hinterlist denen wir hier begegnen? Um vieles leiser der „Ruf": Bleich, in sich gekehrt und geistesabwesend schaut er in die Feme, als wäre er Gefangener seiner selbst und als solcher unfähig sich zu befreien. Nebenan bezieht die „Nachtwache" Stellung. Wacht sie über uns oder bewacht sie uns? Das Bild „ohne Wort" spricht ohnehin Bände ... Wer aber sind all jene Personen, denen wir hier begegnen? Wer ist das Mädchen aus Luxemburg? Wird sie sich jemals aus der sie umgebenden Dunkelheit befreien können? Und all die anderen Gesichter, denen wir gegenüber stehen: dem Gelben Tag, dem Dunkel, dem Engel, der Zensur, dem Glauben, der Sprachlosigkeit, dem Spiegel, dem blauen Tag, dem Wind in den Haaren und nicht zu vergessen allen weiteren Emotionen. Wenn Ladislav Cerny sie malt, dann malt er weit mehr als nur Köpfe oder Gesichter. Er porträtiert Beobachtungen - alltägliche, zwischenmenschliche Probleme unseres Seins. Mal ist er Zuschauer, mal ist er Hauptdarsteller.

Seine Protagonisten sind keine Helden und keine Sieger. Sie sind menschliche Wesen, geplagt von Eifersucht, Sehnsucht, liebe, Schmerz und Hass. Seine Bilder wirken mitunter verstörend - widersprechen unserem gängigen ästhetischen Empfinden. Die Expressivität und die Wahl der Farbe untermauern die Aussagen seiner emotionalen Botschaften: Dem Makellosem - dem Schönen widerfährt Destruktion! Die Spuren dieses Prozesses bleiben dabei deutlich sichtbar. Auf diese Weise lässt er hinter die Fassade schauen - zeigt uns die andere Seite - die Seite unserer zerstörerischen Haltungen und Handlungen.

Im Vergleich zur Malerei wirken die reduzierten Plastiken fast schon zerbrechlich. Während uns seine Bilder lautstark begegnen, scheint er in der Skulptur leise Wege zu beschreiten. Dabei ergänzen das Material und die Thematik der Darstellung einander. Wohl nicht ohne Grund verwendet er für die Arbeit „Adam und Eva" Holz. Assoziativ denken wir dabei an den Baum der Erkenntnis. Eng mit diesem verbunden, können sie bei Cerny, wie auch im Buch Genesis, ihrem Schicksal nicht entrinnen. Bei der „Metamorphose" lässt uns die Lebendigkeit der Holzstruktur vermuten, dass sie noch mitten in ihrer Verwandlung steckt- stetige Veränderungen, die wir alle ein Leben lang durchlaufen. Die Skulptur „Haut" dagegen gießt Cerny in Bronze. Als größtes menschliches Organ bietet die Haut uns Schutz vor Umwelteinflüssen, dient der Kommunikation und Wahrnehmung und der Abgrenzung von Innen und Außen. Trotz des stabilen Materials wirkt der Bronzeguss dünn häutig und fragil. Wie ein schützender Mantel spannt er sich über die zusammengekauerte Figur. Ihre Oberfläche ist unpoliert - hier hat das Leben offenbar seine Spuren hinterlassen. Denn das Leben, das wissen wir alle, stellt uns stets vor neue Herausforderungen. Und niemals, niemals sind wir dabei frei von Emotionen und immer auch auf der Suche nach uns selbst. Und Sie? Möglicherweise stellt sich beim Anblick der Bilder nun die Frage: Wer bin ich? Bin ich der Erfolgs-Verwöhnte oder der Dauernde-Versager, die Schweigerin oder die Konfliktbereite, der Immerzu-Ängstliche, die Niemals-Zufriedene oder der Ewige-Träumer? Die Selbst-Verliebte, die Stets-Argwöhnische, der mit Blindheit-Geschlagene oder der Hochgradig-Eifersüchtige? Sollten Sie also Erkenntnisse nicht scheuen, dann halten Sie im Rundgang getrost nach ihrem Selbst Ausschau.

Lydia Altmann, Kunsthistorikerin

Ort

Galerie AMART
Schäffergasse 20
1040 Wien
Österreich